Scheiße zu Diamanten!

„The first draft of anything is shit”, hat Ernest Hemingway gesagt – und Schreibtrainer zitieren diesen berühmt-gemeinen Satz gern. Aber was ist dran? Und was heißt das für PR-Texte unter Zeitdruck?

Ein Gast-Einwurf von Udo Taubitz

Ist der erste Text-Entwurf immer Kacke? Oder war Hemingway nur mal wieder sturzbesoffen, als er diesen dampfenden Shit-Satz in die Welt kübelte? Der Nobelpreisträger beendete sein Dasein so, wie er gelebt hatte – radikal und rücksichtslos gegenüber sich selbst. Das sollte zu denken geben.

Wer will sich schon hinsetzen und einen – angeblich unweigerlich – beschissenen ersten Entwurf schreiben? Hallo Schreibblockade, da bist du ja! Besser: Vergessen Sie Hemingway. Zumindest erst mal. Nein, Ihr erster Entwurf ist wahrscheinlich nicht Siewissenschon. Er ist wahrscheinlich auch nicht perfekt. Aber ganz okay.

Trotzdem Achtung: Nur im Ausnahmefall würde ich so einen ersten „okayen“ Entwurf raus hauen. Das gilt nicht nur für den Roman oder die große Reportage, sondern auch für PR-Texte. Für Newsletter. Für Produktbeschreibungen. Für Pressemitteilungen. Und sogar für Intranet-Postings. Der erste Entwurf ist eben selten gleich der große Wurf. Sondern grob wie ein ungeschliffener Diamant. (Dieses Sprachbild klingt doch schon deutlich motivierender als das mit der Darmausscheidung, oder? Seien Sie beim Schreiben nett zu sich selbst: Sie schaffen Diamanten, nicht Kot!)

 

Feile trotz Eile

Damit ein Text funkelt, muss man ihn feilen. Das kommt in der PR zu oft zu kurz. Jaja, ich weiß, die Zeit drängt im Arbeitsalltag; die PM muss vor zwölf raus, sonst Kopf ab. Aber Texte bearbeiten zahlt sich aus. Dahingeworfene Texte entfalten kaum die Wirkmacht, die wir uns wünschen. Im Gegenteil, sie können Kunden/Partner/Mitarbeiter verprellen. Weil sie zu wenig Substanz haben, zu langatmig sind oder zu werblich, zu tot, zu unverständlich, zu … – ich könnte ewig so weitermachen. Aber ich mache es kurz: Gut schreiben heißt umschreiben.

Der Kontinentalkongress der Kolonien Nordamerikas änderte Thomas Jeffersons ersten Entwurf der Unabhängigkeitserklärung 86 Mal. Hemingway schrieb angeblich 47 neue Enden von „A Farewell to Arms“. Ganz so perfektionistisch gehen wir an PR-Texte besser nicht ran. Perfektionismus killt Kreativität. Diesen Blogbeitrag, den Sie gerade lesen, werde ich soundsooft überarbeitet haben, wenn ich ihn abgebe. (Auflösung siehe unten.) Es wird auf jeden Fall eine Zahl über null sein – und unter fünf. Denn spätestens dann mache ich Schluss. Das hier soll ja keine hohe Literatur werden, sondern ein Gebrauchstext. Auch bei Diamanten gibt es verschiedene Güteklassen.

 

Der typische Schreibprozess für gute Gebrauchstexte sieht in etwa so aus:

  • 10 % der Zeit erst mal überlegen: Was genau ist mein Thema? Für wen schreibe ich? Welche Botschaften sollen hängenbleiben? Welche W-Fragen muss ich dafür beantworten?
  • 15 %: nachrecherchieren / nachfragen / evtl. Statements einholen
  • 40 %: den Rohtext schreiben (bei Online-Texten an Hyperlinks denken, das erspart manch langen Sermon)
  • den Entwurf liegenlassen, am besten über Nacht, und/oder anderen zeigen
  • 30 %: am Rohtext feilen. Dabei insbesondere auf die Regeln für leicht verständliche Texte achten. Danach, wenn nötig, in die Fachabstimmung gehen – mit dem Hinweis, dass ausschließlich fachliche Fehler korrigiert werden sollen
  • 5 %: Korrektur lesen (lassen) – noch mal kurz polieren, hier ein Wort weg, da ein Gedankenstrich hinzu – und ab damit!

Lieben Sie, was Sie schreiben. Auch wenn es verbesserungswürdig ist. Oder gerade weil es verbesserungswürdig ist, also der Verbesserung würdig. Wenn Sie an Ihren Feilkünsten noch ein wenig feilen wollen: Buchen Sie einfach ein Seminar! Handwerk hilft. Man muss für gute PR-Texte von keiner Muse geküsst sein. Und schon gar nicht von Hemingway, diesem Sch…enie.

Diesen Text habe ich zwei Mal überarbeitet.

Möchten Sie Ihre Schreibkompetenz erweitern?

In folgenden Kursen vermittelt Ihnen Udo Taubitz wertvolles Know-how:

Online-Seminar: Sätze wie Pfeile – Tipps für eine gute Schreibe
Seminar: Schreibtraining für PR-Profis
Seminar: Texten für Social Media
Video-Kurs: Blitzkurs für eine gute Schreibe

Autor

  • 20. November 2020

    Texten für Social Media Digital

    Online-Seminar
  • 17. - 18. November 2020

    Schreibtraining für PR-Profis

    Online-Seminar
  • 01. Dezember 2020

    Sätze wie Pfeile – Tipps für eine gute Schreibe

    Online-Seminar
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